Hoffnungslos

Ein Mann – dick und alt und hässlich, geistig von Geburt nicht ganz auf der Höhe – weint seit drei Nächten still vor sich hin. Hat sich aussichtslos verliebt in eine Pflegerin. Vielleicht das erste Mal in seinem Leben. Er tat mir immer schon leid, obwohl wir ihn auch gerne ein bisschen ärgern, wegen seiner skurrilen Art. Ich hab versucht, es dabei nie zu übertreiben. Er ist ein ganz armer Hund.

Als Jugendlicher beim Bombenangriff 1945 in Dresden verschüttet, ausgegraben worden, die ganze Familie tot. Aufs Land verschickt auf einen Bauernhof zum arbeiten. Immer allein gelebt, keine eigene Familie gegründet. Er hat bis heute panische Angst vor der Badewanne, hängt vielleicht mit seinen Jugenderlebnissen zusammen. Und jetzt eine große Liebesgeschichte aus der auch nichts wird. Ein ganz armer Hund eben.

6 Gedanken zu “Hoffnungslos

  1. Armer Mann.
    Wenn ich sowas lese, dann macht sich großes Mitleid bei mir breit..könnte mich reinsteigern bis zum weinen.
    Ach ja, bin doch nicht so mysanthropisch veranlagt wie ich manchmal von mir meine.

    Ey!!, müsst ihr den Mann ärgern??
    Und du machst da auch noch mit! ne ne *kopfschüttel* Pass auf du, nächstes Mal zieh ich dir die Löffel lang.

    Skurril sind wir doch alle mehr oder weniger.

    Trauriger Eintrag. Überhaupt, im Moment les und seh ich überall nur Traurigkeit. Ich glaub ich krieg Depressionen.
    :)

  2. Immer bloß weinen, nützt ja auch keinem was. Ich bin über meine rational-pragmatische Veranlagung (mit feinen, kleinen romantisch-emotionalen Einprengseln) recht glücklich. Man darf nur nicht den Fehler machen, das emotionale Elend um einen herum als Lapalie abzutun. Für die Betroffenen ist es keine.
    Ich hege allerdings die Befürchtung, dass mein lakonischer Sarkasmus, der mein Naturell ist und mir viel bedeutet, langsam eine zynische Färbung annimmt. Eine Entwicklung, die mir nicht gefällt, die es mir aber schwer fällt aufzuhalten.

  3. Und DENOCHTROTZDEM nie gefeit:

    Liebe ist „Ein Stern in einem Haufen Mist“.
    H.H.

    Vielleicht würde den Ärmsten kleine Geste der Muse beglücken…
    Ein lächelnd-mildes Wort ihn sanften Frieden finden lassen.
    Ein Duft ihn träumend erfreuen, als sehnende Qual mit Herzbruch..
    Verehrung ist gar ungefährlich und scheint eine ausgestorbene Kunst.
    Vielleicht hilft in diesem Falle Empathie besänftigend, als mit harter Grenze die Pein der Lächerlichkeit..

  4. Ach herrje, was soll ich sagen. Solche Leiden werden nicht groß behandelt, für so was ist nun gleich gar keine Zeit. Ich weiß nicht, wie tagsüber mit dem Liebeskranken verfahren wird, das ist nicht mein Wohnbereich, ich betreue den nur in der Nacht mit. Nach allem was ich so erfahren konnte, versucht man es mit kaltem Entzug – bisher ohne nennenswerten Erfolg. Mit Erklärungen kommt man nicht weit, die geistige Potenz reicht nicht. Außerdem, wie will man Gefühlsdinge kognitiv bewältigen? Und irgendgeartete Zuwendung der Angebeteten würde wahrscheinlich wieder falsch verstanden. Also bleibt es wohl beim kalten Entzug.

  5. Kalter Entzug als Personalaustausch ist gewiss professioneller Kodex und inzwischen bestimmt kein unerhebliches Thema in solchen Einrichtungen.
    Mancherlei Medikamente entfachen zudem die Sinne nebenwirkungsreich-erschwerend..
    Als junges Mädchen wirkten solche praktischen Erfahrungen (auch körperlichen Übergriffs) in den Semesterferien noch sehr verstörend und wurden damals strikt „überschwiegen“..
    Doch meist half Fixierungs-Umkehrung auf ein „Ersatz-Objekt“ und ich nähte „Flüsterkissen“.
    Dem armen Thor „verhülfe“ wohl nicht einmal ein „Kuschel-Lumpi“.

  6. Nicht mal der kalte Entzug klappt richtig, da so wenig Personal vorhanden, dass ein Austausch wegen so etwas gar nicht in Frage kommt. Man vermeidet halt längere direkte Kontakte, so weit das geht. Im Großen und Ganzen spielt die Angelegenheit keine Rolle, es gibt so gewaltige Probleme, dass ein trauriger alter Mann keinerlei Priorität hat. Liebeskummer fällt unter „allgemeines Lebensrisiko“, da kann man nichts machen außer zu versuchen weiter kein Salz in die Wunde zu streuen. Man muss sich auf das Wesentliche konzentrieren und das heißt: niemand stürzt, niemand kollabiert (physisch), niemand dreht durch, niemand reißt aus und niemand stirbt (möglichst).

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