Pawlow

Der Geruch nach fauligem Gestrunke, wenn man an vergilbenden Rapsfeldern vorbei fährt, erinnert mich immer an die junge Anhalterin, die ich vor Jahren einmal mit dem Auto mitgenommen habe. Ich hatte sie gleich gesehen, war aber nicht geistesgegenwärtig genug sofort anzuhalten, da ich sonst keine Anhalter mitnehme. So fuhr ich einen großen Bogen durch den Ort und hypnotisierte mich selbst mit dem Mantra: Wenn sie noch da steht, nimmst du sie mit; wenn sie noch da steht, nimmst du sie mit; …

Sie stand noch da. Und ich nahm sie mit. Sie wollte nach Dresden irgendwohin in die Neustadt und ich sollte sie am Hauptbahnhof rauslassen. Ich weiß nicht mehr genau worüber wir während der Fahrt gesprochen haben. Aber ich weiß noch, dass wir an vergilbenden Rapsfeldern vorbei fuhren, die nach fauligem Gestrunke rochen und dass ich sie nicht am Hauptbahnhof rausgelassen, sondern direkt in die Neustadt gefahren habe.

Werte

„Dieses ewige teutonische Drängen und Wollen und mehr und noch mehr, diese Unruhe, anstatt sich zu besinnen und fragen: Wo und was sind die wirklichen Werte? Sie reden über den polnischen Bauern, ‚diese faulen Kerle‘. Wenn der müde ist, will er schlafen und sich ausruhen. Das ist eine Entschlußfähigkeit, die ich menschlich bewundere. Nicht dieses Drängeln, dieses Müssen, dieses ewige Schaffen “

Lovis Gremliza, geb. 1912 in Stuttgart, aus Henry Ries, »Abschied meiner Generation«, Interview vom 4. Mai 1991, München