Bemühungen

„Einsam. Dauerzustand des Menschen, ungeachtet aller Bemühungen, das Gegenteil zu erreichen. Kann auf unterschiedliche Weise – durch Ehe, Geschlechtsverkehr, Brettspiele, Literatur, Musik, Fernsehen, Partyhütchen, Gebäck etc. – gemildert oder gedämpft, aber nicht überwunden werden.“

Aus Chris Ware »Jimmy Corrigan: Der klügste Junge der Welt«
zitiert nach der Freitag, Nr. 12, 21. März 2013, »Auch unten ist er allein«

Krug

Ist alles ein bisschen viel in letzter Zeit, auf Arbeit und auch sonst, hart am Limit, vielleicht schon ein bisschen drüber. Schwer Kranke, Verrückte und immer wieder Tote. Erstaunlich wie lange man das mit sarkastischen Kommentaren überspielen kann. Man macht einfach so weiter. Und es geht erstaunlich gut, so scheint es. Man merkt, dass etwas nicht stimmt, doch man macht einfach weiter. Aber irgendwann ist es doch genug.
Heute ein bisschen herumgewandert während in der Werkstatt die Winterräder ans Auto geschraubt wurden. Eine Hauptstraße, eine Kurve, ein kleines Kreuz mit Blumen. Das Bild einer jungen Frau. Im Kopf die automatische Stimme: „Schade, um die hübsche Maus.“ Plötzlich eine andere: „Ach halt doch die Fresse, du Arsch.“ Und ein unglaublich beklemmendes Gefühl.

Ausflügler

Habe versucht mich im Wald vor den umherstreunenden Menschenmassen zu verstecken. Hat nur bedingt funktioniert. Am Sonntag, bei schönem Wetter, wird alles ausgeführt, was Beine hat: Kinder, Hunde, Ehefrauen. Was nicht laufen kann, fährt Fahrrad. Nur mit großer Mühe dann doch noch ein einsames Plätzchen gefunden.

Vom Geld machen

Einen wunderbaren kleinen Roman lese ich gerade, von einer Autorin, deren Namen ich nie zuvor gehört habe: Irène Némirovsky. Der Roman heißt »David Golder«. Erschienen ist das Buch bereits 1929 und in dieser Zeit spielt er auch. Ein reicher und gewiefter Geschäftsmann verweigert seinem Kompagnon seine Hilfe, daraufhin geht dieser bankrott und erschießt sich. Damit beginnt auch der Niedergang Golders.

Bin noch mittendrin, doch der Roman gefällt mir schon sehr. Gut gemacht die Schilderungen der „Geschäftsfreunde“ und der Geldgier selbst seiner eigenen Frau und Tochter. Nebenbei, das Schicksal Irène Némirovskys (kann man das so nennen?) lässt mich auch nicht kalt.

Außergewöhnlicher Western

Vor ein paar Tagen bin ich nachts vor dem Fernseher aufgewacht und da lief dieser Film. Ich kannte ihn nicht: „Three Burials – Die drei Beerdigungen des Melquiades Estrada“.

Ein illegaler mexikanischer Einwanderer wird aufgrund eines Missverständnisses von einem übereifrigen texanischen Grenzpolizisten erschossen und heimlich von ihm verscharrt. Coyoten graben ihn aus und er wird ein zweites Mal auf dem Armenfriedhof begraben. Die Aufklärung des Verbrechens interessiert niemanden. Bis auf den wortkargen Freund des Mexikaners, Pete – ein alternder Cowboy. Er entführt den Täter, zwingt ihn die Leiche auszugraben und mit ihm zusammen über die Grenze nach Mexiko in das Heimatdorf des Mexikaners zu bringen, um sie dort zu beerdigen.

Ich mag Tommy Lee Jones nicht. Ich habe Vorurteile ihm gegenüber. Er hat in zu vielen Hollywood-Bullshit-Filmen gespielt. Hier überzeugt er mich als einsamer alter Kauz, der sein gegebenes Versprechen seinem toten mexikanischen Freund gegenüber einhalten will, restlos. Auch die Nebenfiguren sind beeindruckend, die verheiratete Kellnerin, mit der Pete ein Verhältnis hat (und der Sheriff auch), die junge Frau des Grenzpolizisten, die sich langweilt in der öden Mobilhome-Siedlung, der in der Wüste zurückgebliebene blinde alte Mann, der mexikanische Radiosendungen hört und doch kein Wort versteht und der endlich sterben will … Einsamkeit, Melancholie und Vergeblichkeit. Und dann natürlich die grandiose Landschaft.

Die berührendste Szene? Die, in der Pete abends in einer mexikanischen Spelunke sitzt und die verheiratete Kellnerin anruft. Er bittet sie nach Mexiko zu kommen, um mit ihm zu leben. Sie sagt „Nein“ und legt auf.

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