Felix Krull

Die Grundstücksnachbarin ist einem Hochstapler aufgesessen. Sie hat ihn vor einem Jahr von irgendwoher angeschleppt. Er hätte eine Firma, hieß es, etliche Angestellte und was sonst noch so als Zutat für ein erfolgreiches Leben gehalten wird. Alles gar nicht war, die Firma schon vor Jahren pleite gegangen, kein Geld, selbst eine Krankenversicherung hatte er nicht mehr. Davon abgesehen war ein ein angenehmer Mensch, ruhig und freundlich.

Vor ein paar Tagen kam nun alles raus. Die Nachbarin ließ ihn nicht mehr ins Haus. Er drückte sich nachts in der Gegend rum in T-Shirt und dünnem Jäckchen. Gestern Nacht als ich vom Spätdienst kam, war die Polizei da und suchte in Dunkelheit und Sturm mit Taschenlampen den Garten ab – auch bei uns. Für einen kurzen Moment hatte ich die Vision, wie er an unserem Kirschbaum hängt. Da hing er aber nicht. Die Polizei rückte ab. Heute Morgen war er wieder da. Die Nachbarin hatte ihm eine Tasche gepackt und vor die Tür gestellt. Mit der Sporttasche in der Hand ging er – sich immer wieder umdrehend – langsam davon.

Hoffnungslos

Ein Mann – dick und alt und hässlich, geistig von Geburt nicht ganz auf der Höhe – weint seit drei Nächten still vor sich hin. Hat sich aussichtslos verliebt in eine Pflegerin. Vielleicht das erste Mal in seinem Leben. Er tat mir immer schon leid, obwohl wir ihn auch gerne ein bisschen ärgern, wegen seiner skurrilen Art. Ich hab versucht, es dabei nie zu übertreiben. Er ist ein ganz armer Hund.

Als Jugendlicher beim Bombenangriff 1945 in Dresden verschüttet, ausgegraben worden, die ganze Familie tot. Aufs Land verschickt auf einen Bauernhof zum arbeiten. Immer allein gelebt, keine eigene Familie gegründet. Er hat bis heute panische Angst vor der Badewanne, hängt vielleicht mit seinen Jugenderlebnissen zusammen. Und jetzt eine große Liebesgeschichte aus der auch nichts wird. Ein ganz armer Hund eben.

Aus

Der alte Mann ist tot. Seine Frau ist in der Kurzzeitpflege und wartet auf einen Heimplatz. Die Wohnung wird schon ausgeräumt. So enden heute große Liebesgeschichten.

Sollte ich jedoch einmal eine große Liebe finden, so hoffe ich – aus purem Egoismus – am Ende auch vor ihr zu sterben.

Lebensgeschichte

In einer fremden Wohnung. Ein alter Mann erzählt mir aus seiner Jugend: Rußlandfeldzug, Einnahme von Kiew, zwei ältere Brüder gefallen. Später Westfront, Raum von Callais, Gefangennahme. Jahre der Gefangenschaft, zwei Jahre in den USA – Pennsylvania und Virginia. Dann auf’s Schiff nach Europa – gelandet in Amsterdam. Eine Woche Hoffnung auf Freiheit. Vergebens. Nach England gebracht für weitere zwei Jahre.

Dann nach Hause gekommen. Fremd gefühlt nach 10 Jahren Abwesenheit. Sagt, er kann über die Erlebnisse nicht sprechen, nur Zeitangaben machen. Nicht gewusst, was tun. Jemand lädt ihn zu einem Maskenball ein. Nur widerwillig hingegangen. Noch fremder gefühlt, ganz stark. Konnte gar nicht tanzen, herumgesessen, getrunken. Dann Damenwahl, eine Frau will ihn holen. Sagt, macht nichts, dass er nicht tanzen kann. Die hat er dann geheiratet.

Jetzt sitzt sie im Bad und wird von meinem Compagnon gewaschen, weil das alleine nicht mehr geht. Der Mann erzählt mir inzwischen sein Leben, er zeigt mir die Wohnung, in der sie seit den 50’er Jahren wohnen. Auch das Kinderzimmer, das nicht gebraucht wurde. Fehlgeburt, sagt er. Jetzt ist es Abstellraum für die Pflegeutensilien seiner Frau. Er sagt, er kann sie nicht mehr versorgen, die Wohnung nicht mehr in Schuss halten. Er sei zu alt und zu schwach. Er ist jetzt 88 Jahre. Er liebt seine Frau sehr, das sieht man, als sie endlich hereingeführt wird. Sie werden bald gemeinsam in ein Heim ziehen.