Tirade

Einen extra Nachtdienst gewonnen, weil es einer Kollegin einfiel, ihre schon länger virulenten psychischen Auffälligkeiten zum Arzt zu tragen. Als Burn-out kann man heute alles verkaufen, Verdauungsprobleme, Schlafstörungen, Heul-Flashs, wahrscheinlich auch Mundgeruch und übermäßigen Fußschweiß. Undifferenzierte Auffangdiagnose.

Ich bin natürlich ungerecht; es gibt Menschen, die an ihrem Umfeld, am privaten oder am beruflichen psychisch kaputt gehen, keine Frage. Da helfen mir aber keine freundlichen Gespräche, Entspannungsübungen und Töpferkurse, um dann nach einiger Zeit in die gleiche Knochenmühle zurückzukehren. Das löst kein Problem.

Ich halte grundsätzlich das, was man landläufig an Symptomen unter Burn-out subsumiert, für eine gesunde Reaktion des Körpers auf eine krankmachende Umgebung. Also muss eine Problemlösung in meinen Augen am kranken Umfeld ansetzen, um dem Patienten wirklich zu helfen. Ich bin mir allerdings bewusst, dass die meisten Betroffenen dafür nicht mehr die nötige Kraft aufbringen können. Dort sehe ich den wirklich notwendigen Hilfebedarf für diese Menschen. Alles andere, Entspannungsübungen usw., sind bloße Erduldungspraktiken.

Zombie

Letzte Woche Spätdienste en masse. Immer erst gegen Mitternacht zu Hause gewesen, etwas gegessen, die Katze gestreichelt und durch die Kanäle gezappt. Jeden Abend auf diese Weise einige Folgen »The Walking Dead« angesehen. Ich weiß auch nicht genau warum, ich mag keine Zombiefilme. Aber wenn man sich selbst wie ein Zombie fühlt ist eine Ausnahme sicher zulässig.

Die Story fängt so an: Ein Cop wird in normaler amerikanischer Südstaatenlandschaft in Ausübung seines Dienstes angeschossen und fällt ins Koma. Als er nach längerer Zeit im Krankenhaus aufwacht, gibt es die gewohnte Welt nicht mehr. Es ist dieses Konstrukt, was mich fasziniert. Jemand ist in eine Welt geworfen, in der die bisher geltenden Maßstäbe und moralischen Übereinkünfte nicht mehr gelten, nicht mehr gelten können, nicht mehr gelten dürfen. Hält man an ihnen fest ist man verloren, hält man nicht an ihnen fest ist man verloren.

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Julien Sorel

„Der Wille des Menschen vermag alles, ich lese es jeden Augenblick; aber genügt er, um einen ungeheuren Ekel zu überwinden? Große Männer haben es leichter gehabt; so fürchterlich die Gefahr war, sie fanden sie schön; wer aber kann außer mir die Häßlichkeit der Dinge um mich verstehen?“

Stendhal, Rot und Schwarz

Würdelos

Machen wir uns nichts vor, Sex hat etwas Lächerliches und Tierisches an sich. Da hebt auch das kulturelle Beiwerk, wie Kerzen, gedämpftes Licht nebst Musik und so weiter nichts auf ein höheres Niveau. Es bleibt dabei, das verschwitzte Gehampel ist der Würde eines Menschen im Grunde nicht angemessen. Und was einen diese wiederkehrende Geilheit an Zeit und Energie raubt!