Eine neue Bewohnerin bekommen zur Kurzzeitpflege für vier Wochen bis es zur Reha geht. Sie ist 35 und wir verstehen uns sehr gut. In der Nacht klingelt sie oft, weil sie Schmerzen hat oder von Spastiken geplagt wird. Sie lobt mich für meine Ruhe und Geduld. Wir führen eine sehr gute Pflegebeziehung, meint sie. Ich glaube, wir flirten ein bisschen obwohl ich mir sicher bin, dass ich das gar nicht kann. Jedenfalls mag ich sie, auch wenn sie anstrengend ist.
Nachtdienst
Niedergang
Die Mondfinsternis konnte ich nur kurz beobachten, dann nahm mich wieder die örtliche Finsternis in Form der Psychotiker in Anspruch. Die eine hatte Kreuzottern im Schlüpfer, die andere große Angst vor einem Tier unter dem Bett und dem Mehl im Kopfkissen. Unter den Irren gibt es einfache Charaktere genauso wie Akademiker mit Doktortitel. Alkoholiker haben wir auch, die von Selbstmord faseln dafür aber zu betrunken sind, in ihrer Scheiße liegend den Klosterfrau Melissengeist in großen Schlucken verzehrend. Manchmal habe ich das Gefühl hier im Kleinen den Untergang der menschlichen Zivilisation zu erleben. Alles Agonie, nichts Lebenswertes, nichts Erhaltenswertes. Man wünscht sich nur, dass alles bald vorbei wäre.
Alles so schön hier
Nicht nur rechtschaffen müde, sondern vollkommen erschöpft nach acht zehn- bzw. zwölfstündigen Nachtdiensten, in denen gefühlt unablässig gestorben oder durchgedreht wird. Dabei sind mir die Sterbenden viel lieber als die wahnhaften Psychotiker, sie schreien wenigstens nicht die ganze Zeit. Ich kann Geschrei kaum ertragen. Adäquat versorgen kann ich keine der genannten Gruppen.
Gegen gesundheitliche Probleme im Alter empfehle ich mittlerweile ungerührt einen Tod spätestens in den mittleren Jahren. Hundertprozentige Prophylaxe ist möglich. Oder als Alternative für die Zögerlichen eine Neuauflage des T4-Programmes. Natürlich ist das Käse, ich bin nicht halb so abgebrüht wie ich vorgebe zu sein. Aber meine Verdrängungsfähigkeit kommt an ihre Grenzen. Wenigstens habe ich über Weihnachten frei, das hatte ich seit Jahren nicht.
Alles gut
Wieder einmal nachts einen Ehemann angerufen und ihm mitgeteilt, dass seine Frau verstorben ist. Routiniert in diesen Abläufen mittlerweile. Sie war noch nicht einmal besonders alt. Mit dem Tod und den Toten keinerlei Berührungsängste, unerträglich und empörend allerdings die abwesende Pflege und Betreuung als sie noch am Leben waren. Wortreich und blumig dargestellte Fake-Pflege zu stark überhöhten Preisen ist das was stattfindet. Weiß jeder, könnte jeder wissen. Interessiert keinen oder nur für die Zeit, in der die eigene Verwandschaft betroffen ist. Ein guter Kommentar, der es im Wesentlichen auf den Punkt bringt. Aber wie gesagt, es interessiert keinen.
Wirrkopf
Wie so oft abstruse Träume nach der Nachtdienstsession. Der Körper wehrt sich die erste freie Nacht im Bett mit Schlafen zu verbringen. Er nervt mich mit Kopfschmerzen, Nykturie und wirren Träumen: Ich bin in einer Art hotelartigen Lazarett oder Pflegeheim des Nachts mit vielen bettlägerigen Patienten, endlose verwinkelte Gänge und Säle. Man läuft ewig herum und hat am Ende vergessen, was man eigentlich tun wollte. Dann muss plötzlich evakuiert werden. Alle werden auf ein Feld oder eine Wiese geschleppt und später wieder ins Haus zurück. Man findet nichts mehr, alles durcheinander, das reinste Chaos…